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Dunkle Wolken über den Jemen

Toni Scheibe

„Falls sich die Situation nicht verbessere, tritt der Jemen in die Fußstapfen Somalias und des Iraks. Die Menschen werden von Haus zu Haus kämpfen und das Land wird nicht nur in zwei, sondern in viele kleine Teile zerfallen.“ Diese beängstigende Warnung stammt nicht etwa aus der Feder eines Sicherheitsberaters oder aus dem Mund eines westlichen Politikers, sondern vom jemenitischen Präsidenten Ali Abdullah Saleh höchstpersönlich und beschreibt die angespannte Lage im Land.

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Eine ungewisse Zukunft: Über den Jemen brechen dunkle Wolken herein. Foto: Ai@ce

Als Präsident Saleh, vor einigen Wochen, bei einem Treffen von ranghohen Militärführern und Regierungsbeamten, diese ungewohnt deutlichen Worte aussprach, meinte er nicht etwa die Gefahr durch Al-Qaida oder religiöse Unruhen. Saleh sprach viel mehr über die sich im Süden formierende Front, die für eine Beendigung der Einheit des Landes und der Vorherrschaft des Nordens kämpft. Die südjemenitischen Separatisten sind besonders seit der Unterstützung durch Scheichs Tariq al-Fadlis, einem ehemaligen Verbündeten Salehs, im Aufwind.

Ein kurzer Blick in die Geschichte zeigt die enorme Bedeutung der jemenitischen Einheit von 1990. Der Jemen wurde bereits im 19. Jahrhundert zwischen dem Osmanischen Reich und dem Britischen Empire in ein Nord- und Südjemen aufgeteilt. Der Kalte Krieg verfestigte diese Teilung. Der flächenmäßig größere, aber verhältnismäßig dünn besiedelte Süden erklärte sich im Jahre 1967 zur sozialistischen Volksrepublik. Der bevölkerungsreiche Nordjemen wandte sich hingegen dem Panarabismus, der Idee von der Bildung eines starken gemeinsamen arabischen Staates, zu und bildete mit Ägypten eine Union, die allerdings nur wenige Jahre stand hielt.

Jongleur der Macht

Der Zusammenbruch des Ostblocks und damit einhergehend das Ausbleiben der Unterstützung für den sozialistischen Südjemen, sowie die weltweite Demokratisierungswelle schufen günstige Bedingungen für die Wiedervereinigung der beiden Staaten. Im Mai 1990 rief Präsident Saleh die wiedervereinigte Republik Jemen aus, jedoch war die Vereinigung der beiden jemenitischen Staaten ein langer und steiniger Weg, die erst mit der Eroberung Adens im Juli 1994 abgeschlossen werden konnte. Im Kampf um die Einheit des Landes schmiedete Präsident Saleh ein breites Bündnis zwischen Muslimbruderschaften, ehemaligen Afghanistankämpfern und schiitischen Zaiditen. Dieses geschickt arrangierte Bündnis, in der Saleh akribisch genau auf das Gleichgewicht der gesellschaftlichen Kräfte achtete, brachte ihm den Beinamen „Jongleur der Macht“ ein.

Tariq al-Fadli ist einer der einflussreichsten Kräfte in der Jonglage Salehs. Al-Fadli zählt zu den schillerndsten Chamäleons der jemenitischen Politiklandschaft. Während er als ehemaliger Afghanistankämpfer, ähnlich wie az-Zawahiri und Osama bin Laden, die Wiederherstellung des islamischen Kalifats und die Abschaffung künstlicher Grenzen forderte, stellt er heute die Einzigartigkeit der südjemenitische Identität in den Vordergrund, die es durch eine Abgrenzung vom Norden zu schützen gilt.

Die Gefahr aus dem Norden

Doch nicht nur im Süden erreicht die Eskalation einen neuen kritischen Punkt, auch in den nördlichen Landesteilen wächst die Gefahr eines erneuten Aufstandes der Zaiditen. Bereits im Jahre 2004 kam es zu einem Aufstand der Zaiditen, einer schiitischen Glaubensausrichtung die dem sunnitischen Islam, dem 90 Prozent aller Muslime angehören, am nächsten steht. Ihr Anführer al-Huthi, ebenso ein ehemaliger Verbündeter des Präsidenten, warf Saleh vor die Zaiditen verraten zu haben, um somit ein Gegengewicht zu seinen islamistischen Verbündeten aufzustellen. Die Regierung Saleh setzte alle propagandistischen Mittel ein, um die Aufständigen zu einer vom Iran unterstützten Terrorgruppe nach dem Vorbild der libanesischen Hizbullah zu stilisieren. Mit Erfolg: Die Niederschlagung des Aufstandes wurde dem Jemen, der zuvor als zögerlich im Kampf gegen den Terrorismus galt, international als großer Erfolg angerechnet.

Zwei Seiten der tiefen Wirtschaftskrise

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Khat, eine Droge die auch in Europa immer beliebter wird. Foto: eesti

Dennoch warnen aufmerksame Beobachter den Jemen in einem bilateralen Kampf zwischen Nord und Süd einzuteilen, denn auch innerhalb des Nordens und des Südens gibt es keine Einigkeit. Verschärfend zu der politischen Situation steckt das Land in einer tiefen wirtschaftlichen Krise, die nicht erst durch die weltweite Rezession ausgelöst wurde. Besonders der niedrige Rohölpreis und die bald erschöpften Erdölreserven im Süden des Landes machen der Regierung Salehs zu schaffen. Während der Staat als größter Arbeitgeber schwächelt, boomt im Jemen das Geschäft mit den Drogen. Innerhalb weniger Jahre, entwickelte sich der Jemen zu einem neuen Drehkreuz im internationalen Rauschgifthandel. Die Drogen kommen meist per Boot aus Pakistan oder Indien und werden anschließend über schwer zugängliche Gebirgsrouten zu ihren Konsumenten nach Saudi-Arabien und in die Golfstaaten geschmuggelt. Die zunehmende Beliebtheit von Khat in Europa, einer pflanzlichen Droge, die in der Wirkung oft als „mildere“ Variante von Amphetaminen beschrieben wird, beschert den jemenitischen Drogenbanden eine weitere lukrative Einnahmequelle.

Angesichts der vielen aktuellen Probleme, häufen sich die Stimmen die den Jemen als nächsten gescheiterten Staat ausmachen. Einige Beobachter sagen dem Land, in einer düsteren Prognose, eine ähnliche Entwicklung wie Somalia voraus. Andere Beobachter gehen davon aus, dass wenn die Lage eskaliert Saudi-Arabien, Oman und die Golfstaaten eingreifen werden, schließlich habe keiner dieser Staaten ein Interesse an einem „neuen Somalia“ vor der eigenen Haustür. Hingegen wird im Jemen offen über die Frage diskutiert, ob Präsident Saleh von seinem Amt zum Wohle des Volkes zurücktreten soll und welche Folgen ein Rückzug aus der Politik für das Land haben könnte. Jedoch kommen viele Jemeniten zum dem ernüchterten Urteil, dass es bislang keinen ernst zu nehmenden Nachfolger gibt, der die Macht hätte, sich gegen die Clanchefs und Generäle durchzusetzen.

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