Auf dem Trockenen

Toni Scheibe

Bedrohtes Idyll: Schilf das sich in den gleichförmigen Wogen des Windes wiegt, aus Reet gebaute Häuser und stolze Männer die aufrecht in ihren Kanus balancieren. Schwarze und weiße Eisvögel, Wasserbüffel die sich von der Strömung treiben lassen und reiche Fischgründe. Diese Landschaft im Süden des Iraks, in einigen Überlieferungen auch als „Garten Eden“ bezeichnet, steht vor einer ökologischen Katastrophe.

In Gefahr: Die extreme Dürre bedroht die irakische Marschlandschaft. Foto: Mundoo

In Gefahr: Die extreme Dürre bedroht die irakische Marschlandschaft. Foto: Mundoo

Gerade begann sich die von Saddam Hussein geschundene Marschlandschaft am Zusammenfluss von Euphrat und Tigris zu erholen. Nun gefährdet eine lang anhaltende Dürre das sensible Ökosystem. In den Bergregionen des Iraks, Syriens und im Osten der Türkei, wo die beiden Flüsse entspringen, betrug die Niederschlagsmenge der letzten beiden Winter nur 30 bis 40 Prozent der üblichen Werte. Doch nicht nur die Trockenheit macht den Bewohnern der Marschlandschaft zu schaffen, sondern auch der gestiegene Salzgehalt des Wassers, der viele Fische verenden lässt.

Das Ende einer jahrtausendealten Kulturlandschaft?

Das irakische Marschland mit einer Fläche so groß wie Schleswig-Holstein, war einst eines der größten Feuchtgebiete der Welt. Bereits vor über 5000 Jahren siedelten die Sumerer in diesem Gebiet und bildeten die erste mesopotamische Hochkultur. In den 1980er Jahren ließ Saddam Hussein mehrere Staudämme entlang des Euphrats und Tigris errichten. Die deutsche Regierung unterstützte damals das Vorhaben mit einer Hermes-Bürgschaft in Höhe von 1,9 Milliarden DM. Nach dem Ende des Zweiten Golfkrieges 1991 und dem Aufstand der Schiiten im Südirak, ließ Saddam Hussein ein engmaschiges Netz aus Dämmen anlegen um die Marschlandschaft auszutrocknen.
Die Wirkung war verheerend. Nach dem Sturz Saddam Husseins, waren fast 95 Prozent der Marschen zu Salzwüsten und Ödland verkommen. Experten befürchteten damals, dass sie bis zum Jahr 2008 gänzlich verschwunden wären. Die Bevölkerung ergriff die Initiative und riss die Dämme ein, so dass zwei Fünftel des Marschlandes renaturiert werden konnte.

Halb politisch, halb natürlich

Dennoch könnten diese Erfolge durch die aktuelle Trockenheit nur von kurzer Dauer gewesen sein. Der irakische Minister für Wasservorräte, Abdul Latif Rashid, erklärte das Problem sei nur zur Hälfte auf den fehlenden Niederschlag zurückzuführen. Der andere Teil sei ein politisches Problem, über dass verhandelt werden müsse. Er wirft den Nachbarländern Türkei und Syrien vor, zu viel Wasser für ihre eigene Landwirtschaften abzuzweigen.

In dieser Situation scheint es grotesk, dass ein neuer Staudamm die Lösung des Problems sein kann. Doch ausgerechnet die Bewohner der Marschlandschaft fordern nun den Bau eines neuen Dammes südlich der Stadt Chubayish, um dadurch das Wasser in die trockenen Marschgebiete zu stauen. Es sei zwar nicht so viel Wasser wie sie gerne hätten, aber genug um das Ökosystem am Leben zu erhalten.

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Maos Roter Rhododendron

Der Lange Marsch zum Frieden

Rot blühen die Rhododendren, die nepalesische Nationalpflanze, in der Terai-Ebene und in den unwegsamen Bergregionen. Doch auch das längst totgesagte Gewächs des Maoismus scheint in dieser Gegend der Welt noch einmal seine Blütenpracht zu entfalten. Ob es dem imposanten Ableger allerdings gelingt, die abgestorbene chinesische Mutterpflanze hinter sich zu lassen und ein rotes Nepal zu inszenieren, bleibt fraglich.

In anderen Teilen der Welt nahm der Maoismus besonders in den 1960er bis 1980er Jahren eine bedeutende Rolle ein. Es formierten sich maoistische Gruppen wie die Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) in Peru, die New People’s Army (NPA) auf den Philippinen oder die Janata Vimukti Peramuna (JVP) in Sri Lanka. Gleichfalls gab es in Nepal schon früh marxistisch-leninistische und maoistische Strömungen, die mit dem Sturz des Rana-Regimes 1950/51 entstanden und wenige Jahre später in einer Bauernrevolte in den Distrikten Pyuthan, Rolpa und Rukum mündeten.

Die Ursachen vieler aktueller Probleme in Nepal reichen bis in die Zeit des Rana-Regimes im 19. Jh. zurück. In ihrem Programm verfolgten die Ranas die Durchsetzung des Hinduismus als Staatsreligion und die Eingliederung zahlreicher sprachlicher Gruppen in einer nationalen Hierarchie von Kasten und Ethnien, angeführt von den Chetri und den Brahmanen der Gorkhas. Seit der Machtergreifung der Ranas 1846 war Nepal eng mit den Briten verbunden, so standen die legendären Gorkhakrieger den Briten bei Aufständen in Indien bei.

Ab Mitte der ’30er Jahre des 20. Jahrhunderts entstanden in Nepal zahlreiche politische Parteien wie die Praja Parishad, die Nepali Congress Party und die Communist Party Nepal (CPN). Als im August 1947 Indien und Pakistan die Unabhängigkeit erklärten, wurde auch die demokratische Bewegung in Nepal ermutigt sich gegen die britische Oberhoheit zu wehren. Tonangebend bei dem Umsturz des Rana-Regimes war der Nepali Congress, der sich mit dem entmachteten Königshaus der Shah sowie mit enttäuschten und gekränkten Rana-Mitgliedern verbündete. Am 18. Februar 1951 wurde feierlich verkündet, dass in Nepal eine vom Volk gewählte verfassungsgebende Versammlung abgehalten werden sollte. Dieses Versprechen wurde bis heute nicht in die Tat umgesetzt und stellt eine der zentralen Forderungen der Maoisten dar.

Bereits ein Jahr nach dem Umbruch wurde die CPN verboten. Dennoch handelte die Partei aus dem Untergrund weiter, so schafften es die von ihnen unterstützten Kandidaten 1953 bei den Stadtratswahlen von Kathmandu auf 50% der Wählerstimmen. Die der CPN nahestehende Bauernorganisation Akil Nepal Kisam Sangh zählte 1954 bereits 143.000 Mitglieder. Im selben Jahr rief sie die Bauern in Pyuthan, Rolpa und Rukum zu einer Revolte auf. Die Aufständigen nahmen einige Großgrundbesitzer fest und verpflichteten sie dazu, die Erlöse mit den Pächtern zu teilen.

Der Kalte Krieg und die Frage des Panchayat-Systems spaltete in den ’60er Jahren die nepalesischen Kommunisten in zwei Lager, ein prosowjetisches und ein prochinesisches. Das Panchayat-System schloss Parteien vom politschen Entscheidungsprozess aus und ersetzte sie durch ein Rätesystem. Während die Moskau-orientierten Kommunisten das Panchayat-System mit König Mahendra an der Spitze unterstützten, lehnten es die Peking-orientierten Kommunisten strikt ab. Durch eine Verhaftungswelle kommunistischer Kaderkräfte fand ein Generationswechsel unter den Maoisten statt. Es entstanden drei neue Parteien: die CPN (Marxist), die CPN (Marxist-Leninst) und die CPN (4. Congress). Letztere sollte die einflussreichste kommunistische Partei werden. Obwohl die CPN (Maoist) und die demokratischen Parteien eine verfassungsgebende Versammlung und die Wiedereinführung des Parlaments forderten, lehnten die Maoisten jegliche Zusammenarbeit zum Sturz der Monarchie und des Panchayat-Systems ab. Schon damals entwickelte sich unter den Maoisten die Idee eines Volkskrieges. Von China grenzten sie sich direkt nach dem Tod Maos 1976 ab, indem sie die neue Spitze des Zentralkomitees als „reaktionär und konterrevolutionär“ bezeichneten.

Als 1990 die Demokratiebewegungen weltweit im Auftrieb waren, herrschte auch in Nepal Umbruchstimmung. Die linken Parteien vereinigten sich zur United Left Front (ULF), um gemeinsam mit der Nepali Congress Party (NCP) für die Abschaffung des Panchayat-Systems zu kämpfen. Daraufhin schlossen sich die Maoisten zur United National People’s Movement (UNPM) zusammen. Dem Druck der Straße musste schließlich König Birendra nachgeben. Es kam zur Abschaffung des Panchayat-System sowie zu demokratischen Wahlen. Die UNPM lehnte eine verfassungsgebende Kommission, die vom König ernannt wurde, strikt ab. König Birendra konnte sich durchsetzten und berief eine Kommission aus ausgewählten Mitgliedern der NCP, ULF und einigen königstreuen Experten. Die Euphorie über die junge Demokratie verflog rasch und für viele Nepalis erschienen die neuen Regierungsmitglieder noch korrupter zu sein.

Als 1994 vorgezogene Neuwahlen angesetzt wurden, verabschiedete sich die CPN (Maoist) unter der Führung von Pushpa Kamal Dahal, genannt Prachanda, von der parlamentarischen Bühne. Nach ihrer Ansicht war der Weg zum Sozialismus durch die Verfassung verbaut. Im September 1995 veröffentlichte die CPN (Maoist) einen Plan für einen Volkskrieg nach maoistischen Vorbild. Bei der Ausarbeitung einer Strategie werteten sie sorgfältig die Fehler gescheiterter Volkskriege aus, wie die der Sendero Luminoso in Peru. Ähnlich wie ihre Genossen aus dem Himalaya, erhob sich auch die Rebellion der peruanischen Maoisten im bergigen Hinterland. Bereits im Oktober 1995 kam es in Nepal zu ersten Gefechten zwischen Anhängern der CPN (Maoist) und gegnerischen Parteien. Die Regierung reagierte mit aller Härte auf die Angriffe und startete die Polizeiaktion „Romeo“. Dabei kam es zu Plünderungen, willkürlichen Verhaftungen, Vergewaltigungen, Folter und Mord. Mehrere Tausend Menschen flüchteten daraufhin in die Berge und Wälder.

Am 4. Februar 1996 legte der Chefideologe der Maoisten Dr. Baburam Bhattarai der Regierung einen 40-Punkte-Plan vor. Darin forderten sie u.a. die Schaffung einer neuen Verfassung von gewählten Vertretern, Abschaffung aller königlichen Privilegien, Nepal als säkulare Nation auszurufen, Nepali nicht weiter als lingua franca zu propagieren, eine Landreform zu Gunsten der landlosen Bevölkerung, sowie einen Mindestlohn für alle Arbeiter. Während die Regierung die Forderungen ignorierte, riefen die Maoisten am 13. Februar 1996 den Volkskrieg aus und man führte erste Guerillia-Aktionen in Rukum, Rolpa, Jajarkot, Salyan, Gorkha und Sindhuli durch.

Prachandas Pläne

Prachanda ist nicht nur der Führer der CPN (Maoist) und der People’s Liberation Front, sondern ebenso der Begründer eines eigenen Weges hin zum Kommunismus. Zumindestens sehen ihn seine Anhänger gerne als vierten Kopf des Kommunismus neben Marx (1818-1883), Lenin (1870-1924) und Mao (1893-1976). Prachanda erstellte ein eigenes Konzept für Nepal. So setzt auch er auf einen langen Volkskrieg und die militärische Einkreisung von Dörfern und Städten. Im Gegensatz dazu steht der Marxismus. Dieser sieht einen Klassenkampf zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie vor, an dessen Ende das Proletariat die politische Macht übernimmt. Der Prachanda-Pfad besteht aus sechs einzelnen Plänen:
Der erste Plan umfasste die Ausrufung des Volkskrieges und die Mobilisierung der Bevölkerung. Dazu fanden etwa 6.000 Aktionen in mehreren Distrikten statt, wie die Besetzung einer Landwirtschaftlichen Entwicklungsbank und die Vernichtung der dortigen Schuldscheine. Die zweite Stufe beinhaltete die Vorbereitungen auf einen Guerillakrieg. Die Maoisten begannen gezielte Attentate zu verüben und bauten eine Organisation zum Volkskrieg auf. Die Guerilliaoperationen wurden im dritten Plan ausgeweitet und man gründete in den eroberten Distrikten erste Volkskommitees. Das immer größer werdende Ausmaß der maoistischen Rebellion rief im Jahr 1999 die nepalesische Regierung auf den Plan. Als Antwort auf das Erstarken der Maoisten wurde die Polizeioperation „Kilo Sera II“ ins Leben gerufen, welche in einem regelrechten Gewaltausbruch enden sollte. Die staatlichen Repressionen reichten weit in das gesellschaftliche Leben hinein, so wurden z.B. regierungskritische Zeitungen zensiert oder gar verboten. Im vierten Plan sollten die Gemeindestrukturen und Volkskommitees in den von Maoisten kontrollierten Gebieten gefestigt werden. Mit der fünften Stufe, die im August 1999 begann, wurde die Existenz einer Volksarmee bekanntgegeben. Im Oktober des selben Jahres organsierten die Maoisten erstmals einen Bandh, einen Generalstreik, um das öffentliche Leben stillzulegen und die Bevölkerung zu mobilisieren. Der sechste Plan sollte die Bildung von sogenannten Basisgebieten abschliessen. Im Februar 2001 folgte die 2. Nationale Konferenz, auf der die maoistische Führung die „strategische Verteidigungsstufe“ für abgeschlossen erklärte. Nach maoistischer Ideologie war damit die erste von drei Stufen vollendet. Mao warnte stets davor die 1. Stufe zu zeitig zu verlassen. Er legte Wert darauf, dass in den eroberten Gebieten zunächst feste Basisstrukturen geschaffen wurden.

Ein Massaker innerhalb der Königsfamilie am 1. Juni 2001, bei dem u.a. der damalige König Birendra starb, sollte das Blatt zunächst einmal wenden. Im Sommer 2001 wurde Sher Bahadur Deuba neuer Premierminister. Deuba war zu Zeiten der Operation „Romeo“ Innenminister und damit maßgeblich verantwortlich für die Menschenrechtsverletzungen der Polizei. Dennoch kam es zu Friedensverhandlungen zwischen ihm und den Maoisten. Man erzielte einen Kompromiss, zu dessen Umsetzung es nie kommen sollte.

Harte Linie

Der 11. September und der damit ausgerufene Krieg gegen den Terror wendete das Blatt erneut. Der neue König Gyanendra ließ durchblicken, dass er härter gegen die Maoisten vorgehen wolle. Daraufhin verließen die Maoisten am 23. November 2001 den Verhandlungstisch und überfielen Polizeistationen sowie Stützpunkte der Armee. Drei Tage später erklärte der König den Notstand. Während dieser Notstandszeit wurden rund doppelt so viele Menschen getötet als in den ersten 5 Jahren des Volkskrieges. Aus diesem Grund verweigerte das Parlament im Mai 2002 eine Verlängerung des Notstandes.

Nach zahlreichen Protesten demokratischer Parteien und Bewegungen sah sich König Gyanendra im Juni 2004 wieder gezwungen Deuba als Premierminister einzustellen, nachdem er ihn im Oktober 2002 wegen Inkompetenz entlassen hatte. Während der Amtszeit des neuen alten Premierminister gelang es den Maoisten, Kathmandu für einige Tage einzukreisen und von der Außenwelt abzuschneiden. Peng De-huai, Kommandant und Vertrauter Maos während des Langen Marsches, beschrieb diese Taktik mit den blumigen Worten: „Den Teich auszutrocken, um so an den Fisch zu kommen“.

Im Februar 2005 rief Gyanendra erneut den Notstand aus und entließ die ganze Regierung mitsamt dem Premierminister Deuba. Es wurden die Telefon- und Internetverbindungen gekappt, sowie mindestens 150 Journalisten festgenommen. Als sich Anfang April Hunderttausende Menschen zu einem Bandh versammelten, reagierte der König mit einer Ausgehsperre und einem Schießbefehl. Nach mehrwöchigen Protesten gab der König die Exekutivgewalt an das Volk ab. Außerdem bot der König den Parteien an, den nächsten Premierminster zu stellen. Dieser Vorschlag ging den Parteien jedoch nicht weit genug. Nach erneuten Massendemonstrationen sieht Gyanendra sich gezwungen das Parlament von 2002 wieder einzusetzen. Durch eine Verfassungsänderung wurde die Oberbefehlsmacht über das Militär dem König entzogen, er solle von nun an nur repräsentive Aufgaben wahrnehmen. Außerdem wurde der Hinduismus als Staatsreligion abgeschafft und Nepal wurde zum säkularen Staat erklärt. Am 21. November 2006 endete der Maoistenkonflikt mit einer Friedensvereinbarung zwischen dem Premierminister Koirala und den Maoistenführer Prachanda. Als Folge der Vereinbarung traten 73 Abgeordnete der CPN (Maoist) in das Parlament ein. Die CPN (Maoist) erhielt etliche Ministerposten der Übergangsregierung, welche die Wahlen zu einer verfassunggebenden Versammlung vorbereiten sollte.

Trotz des gemeinsamen Kampfes zum Sturz des Königs ist das Misstrauen innerhalb der Interimsregierung groß. Am 15. September 2007 fand ein Treffen zwischen Premier Koirala und Prachanda statt, bei dem Prachanda der Sieben-Parteien-Allianz ein 22-Punkte Plan überreichte. In diesem Programm fordern die Maoisten die Ausrufung der Republik. Wenige Tage später traten die Maoisten aus der Regierung aus, wodurch der im Jahr 2006 geschlossene Friedensvertrag neue Risse bekommen hat. Zu Hoffen bleibt, dass dieser brüchige Frieden den inner- und außerparlamentarischen Streitereien stand hält und das Land zur Ruhe findet, um so einen Ausweg aus der Armut zu finden.

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